Die Abgrenzung der Gerechtigkeit Gottes (=passive Gerechtigkeit) von der gesetzlichen Gerechtigkeit

Das ist unsere Theologie, in der wir lehren, diese beiden Formen von Gerechtigkeit wohl zu unterscheiden, die aktive und die passive, damit nicht Moral und Glaube, Werk und Gnade, Politik und Religion miteinander vermengt werden. Denn beides ist notwendig, aber beides muß sich in seinen Grenzen halten. Die christliche Gerechtigkeit betrifft den neuen Menschen, die Gesetzesgerechtigkeit den alten, der geboren ist aus Fleisch und Blut, dem muß man wie dem Esel den Sack auflegen, damit er gedrückt wird, und er darf nicht die Freiheit des Geistes und der Gnade genießen. (a) ..... (b) Das sage ich, daß niemand meine, daß wir die guten Werke verwerfen oder hindern (c) .... (d) Wir setzen aber sozusagen zwei Welten, eine himmlische und eine irdische; in diese beiden Welten verlegen wir diese beiden Formen der Gerechtigkeit, voneinander geschieden und streng auseinander gehalten. Die gesetzliche Gerechtigkeit (die Gerechtigkeit des "Du sollst", meint Luther) gehört auf die Erde, sie handelt vom Irdischen, durch sie tun wir gute Werke. Aber wie die Erde nicht Frucht bringt, sie sei denn zuvor befeuchtet und befruchtet vom Himmel her (e)..., (f) so tun wir nichts, wenn wir auch vieles tun durch die gesetzliche Gerechtigkeit und erfüllen auch im Tun des Gesetzes das Gesetz nicht, wenn wir nicht zuvor ohne unser Werk und Verdienst gerecht sind kraft der christlichen Gerechtigkeit, die nichts zu tun hat mit der des Gesetzes, mit der irdisch-aktiven Gerechtigkeit. Denn das ist die himmlische, die passive, die wir nicht haben, sondern vom Himmel empfangen, die wir nicht tun, sondern im Glauben ergreifen, durch die wir emporsteigen, weit weit über alles Gesetz und Werk.

Aus der Einleitung Luthers zum Galaterbriefkommentar 1535, zit. nach der Übersetzung von Hans Joachim Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, in: ders., Glaubensgerechtigkeit, Gesammelte Aufsätze
Band II, hg. G. Sauter, Theologische Bücherei Systematische Theologie Band 64 S.99